Auf der Zuglinie zwischen Knin und Zadar scheint der kleine Bahnhof von Benkovac leer, ausgestorben, verlassen. Seit fast zehn Jahren hat kein Zug mehr hier gehalten.
Aber Zvonko, ein Angestellter der kroatischen Bahnbetriebe kommt jeden Tag zur Arbeit.
Kameraführung:Jurica Markovic Ton:Martin Semenčić Schnitt:Martin Semenčić Produktion:Tena Trstenjak, Tena Gojic, Dinaridi Film, Kroatisches Zentrum für audiovisuelle Medien Untertitelung: Laura Schmid, Marisa Germino
Interview
Melita Vrsaljko
Regisseurin
„Mein Film erzählt eine viel tiefere Geschichte, als es auf den ersten Blick scheint.“
Melita, magst du dich kurz vorstellen?
Ich bin im Süden Kroatiens geboren und aufgewachsen und habe 2018 mein Journalismusstudium abgeschlossen. Danach habe ich ein paar Jahre als Fernsehjournalistin gearbeitet. Zurzeit arbeite ich als Reporterin bei Faktograf, dem ersten kroatischen Faktencheck-Medium. Ich berichte über Umweltschutz und Menschenrechte.
Vor einigen Jahren bin ich aus der Stadt zurück in mein Heimatdorf gezogen. Jetzt arbeite ich remote und genieße das Leben am Mittelmeer.
Zvonko, der Stationsvorsteher, ist niemand anderes als dein Vater. Wie ist der Film entstanden?
Ich wollte schon immer eine Geschichte über die Gegend erzählen, in der ich aufgewachsen bin – ein Ort, der mir sehr viel bedeutet. Als ich auf der Dokumentarfilmschule war, suchte ich nach einem Thema für einen Kurzfilm. Eines Nachmittags besuchte ich meinen Vater an seinem Arbeitsplatz und sah, wie gelangweilt er war.
Der Bahnhof, an dem er arbeitet, ist derselbe Ort, an dem er sich früher um mich gekümmert hat – ich habe dort einen großen Teil meiner Kindheit verbracht und fühle mich ihm emotional sehr verbunden. Da wurde mir klar, dass diese Geschichte schon die ganze Zeit bei mir war.
Mein Vater war sofort einverstanden, Teil des Films zu sein, und hat den ganzen Prozess richtig genossen.
„Nach der Premiere wurde mein Vater plötzlich als Schauspieler entdeckt. Inzwischen hat er sogar kleine Rollen in anderen Filmen bekommen.“
Man wartet und wartet, die Schatten werden länger… aber kein Zug kommt. Du filmst die Langeweile in langen, stillen Einstellungen – und trotzdem ist einem nicht langweilig. Wie bist du bei der Erzählweise vorgegangen?
Ich wollte einen Film machen, der eine Atmosphäre einfängt. Einen Film, der nicht alles erklärt, sondern einen ganz einfach in den Moment hineinzieht.
Anfangs dachte ich daran, ein Interview mit meinem Vater einzubauen. Aber dann merkte ich, dass das gar nicht zu dem passte, was ich erreichen wollte.
Mein Kameramann Jurica Marković hat ein großartiges Auge für Bilder. Als ich seine Aufnahmen sah, wusste ich: Da braucht es nichts Weiteres. Der Film ist wie eine kurze visuelle und poetische Postkarte aus meiner Heimatregion – und er erzählt eine tiefere Geschichte, als man zunächst vermutet.
Wie kam es zur Idee mit der Musik am Ende? Und warum genau dieses Lied?
Ich wollte dem Film am Ende etwas Leichtes geben, etwas Persönliches. Etwas, das sich wie ein kleiner, versöhnlicher Akzent anfühlt.
Zuerst wusste ich nicht, welches Lied passen würde. Beim Schnitt haben meine Cutterin und ich aus Spaß einen Song von Goran Bare ausprobiert – während wir noch andere Möglichkeiten überlegten. Mit der Zeit wurde klar: Genau der ist es.
Der Sänger singt von einem Zug, der kommt – obwohl wir längst wissen, dass keiner mehr ankommt.
Dein Film erzählt von einer vergangenen Ära in Kroatien. Ist dein Vater traurig darüber, dass sein Bahnhof und seine Linie mit ihm verschwinden?
Ja, sehr. Ihn hat das alles ziemlich mitgenommen. Er fühlte sich in seinem Job überflüssig – und zugleich zu alt, um sich beruflich noch einmal neu zu orientieren. Seine Lage war absurd, und das war ihm vollkommen bewusst.
Aber es gibt ein gutes Ende: Nach dem Erfolg des Films in Kroatien hat die kroatische Eisenbahn beschlossen, die Strecke zu sanieren. Die Arbeiten sollen in ein paar Jahren abgeschlossen sein – nach dem Ruhestand meines Vaters.
Und das Schönste: Nach der Premiere haben die Leute plötzlich das Schauspieltalent meines Vaters entdeckt. Seitdem hat er schon mehrere kleine Filmrollen bekommen. Auf seine Art hat ihm der Film also neue Türen geöffnet.
Du beobachtest als Journalistin täglich die kroatische Gesellschaft. Was sagt dein Film über das heutige Kroatien aus?
Mein Film blickt zurück auf ein Kroatien, das einmal große Chancen hatte – und sie verpasst hat.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens und dem Unabhängigkeitskrieg in den 1990er-Jahren ist die Industrie – die zum Teil noch aus der alten Zeit stammte – ziemlich schnell zusammengebrochen. Heute verlassen sich viele nur noch auf den Tourismus.
Seit dem EU-Beitritt sind viele junge Menschen ausgewandert. Kroatien steckt politisch fest. Die Regierungspartei arbeitet daran, unsere demokratischen Werte abzubauen.
Nationalismus nimmt zu – in meiner Region sieht man Nazi-Schmierereien, in öffentlichen Räumen werden die gescheiterten Regime des Zweiten Weltkriegs verherrlicht. Und der Staat schaut einfach weg.
Das Leben ist für viele Menschen kaum noch bezahlbar. Ich denke oft daran, wegzugehen. Denn ich habe das Gefühl, dass Kroatien seinen moralischen Kompass verloren hat.
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