Die Kamera filmt das emsige Treiben um das Waschbecken. Der Reihe nach werden die Haare von Jüdinnen, Araberinnen und Christinnen schamponiert, gewaschen und frisiert.

 

Herzlich willkommen bei Fifi, einem Damenfriseursalon in Haifa, Israel.

 

Während die Regisseurin des Films das Haar ihrer Kundinnen einschäumt, beantworten diese ihre Fragen: In ihren schaumigen Händen fühlen sie sich geborgen. Der Friseursalon bietet ihnen einen vertrauten Rückzugsort, wo sie ihre Herzen öffnen und ganz unter sich sein können.

Aber keine Sorge: Gewalt und politische Gespräche sind bei Fifi nicht erwünscht.

Regie: Iris Zaki
Bearbeitung: Tal Cucirel
Musik: Souad Zaki
Übersetzung, Untertitelung: Jodie Clifford, Jeannette Amos, Noelia D’Angelo, Dominique Fischer, Daisy Gertsch, Elena Schweden, Fabienne Chatelain, Orianne Clément, Laura Elber, Dominic Fuchs, Gabriele Gelormino (ZHAW)

Interview

Iris Zaki | 99.media

Iris Zaki Regisseurin

„Die Kundinnen sind stark mit diesem Friseursalon verbunden. Er ist das Zentrum ihres sozialen Lebens. Es ist wie an einer Bushaltestelle!“
  • Erzähle etwas über dich, Iris.


Ich bin als Jüdin in Haifa, Israel, aufgewachsen. Ich wusste nicht, dass ich einmal Filme drehen würde. Das war nicht meine Absicht; eigentlich wollte ich einen anderen Weg einschlagen.


Ich habe Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert und eine Weile bei MTV und anderen Musiksendern gearbeitet. Eines Tages – ich war, glaube ich, 31 Jahre alt – verließ ich Tel Aviv und zog nach London. Dort begann ich, Dokumentarfilm zu studieren.

Während meines PhD-Studiums in London habe ich in einem jüdischen Hotel, in dem ich als Rezeptionistin arbeitete, einen Film namens My Kosher Shifts gedreht. Der Film dreht sich um meine Gespräche mit der Kundschaft. Ich wollte weder ein Kamerateam aufbieten noch selbst hinter der Kamera stehen. Folglich montierte ich sie auf ein Stativ und ging zurück an die Arbeit. Daraus entwickelte sich mein eigener Interviewstil, den ich später ‚Die verlassene Kamera‘ taufte. Genau dann beschloss ich, dass ich Filmregisseurin werden wollte.

Das war und ist immer noch mein ‚Ding‘. Ich erlebe meine Filme als Entdeckungsreisen zu mir selbst. Ich suche nicht nach einem interessanten Thema und entscheide dann einen Film darüber zu drehen und Leute zu interviewen. So geht das bei mir nicht. Bei mir muss es immer etwas geben, das ich unbedingt entdecken will. Dabei geht es auch immer um mich.

The Shampoo Summit | 99.media
  • Dein zweiter Film, „Fifis Friseursalon“, ist im gleichen Stil gehalten wie dein erster: Die Kamera ist fixiert, du bist Angestellte und kommst mit den Personen ins Gespräch…

     

Während meines PhD-Studiums wollte ich mit dieser dokumentarischen Technik experimentieren. Für meinen zweiten Film wollte ich im Grunde genommen sehen, ob diese Technik auch in einem anderen Umfeld bzw. an einem anderen Ort funktionieren würde.

Ich wollte auch diesmal irgendwo einen Job finden, weil ich der Meinung bin, dass ich als Angestellte eine echte Funktion erfülle: Ich drehe nicht nur einen Film. Ich möchte eine Dienstleistung erbringen und währenddessen mit Personen ins Gespräch kommen, die mir zufällig über den Weg laufen, ohne vorher Fragen vorbereiten zu müssen.

  • Wie kam es zu diesem Projekt in Fifis Friseursalon?

     

Ich entschied mich, meinen zweiten Film in meiner Heimatstadt Haifa zu drehen. Dabei wollte ich die arabische Gemeinschaft kennenlernen, da ich gar keinen Bezug zu ihr hatte.

Ich wollte aber nicht wieder in einem Hotel filmen und hielt deshalb nach einem Ort Ausschau, bei dem ich Menschen berühren konnte. Mir kam dann die Idee des Friseursalons und der Haarwäscherin in den Sinn. Ich dachte mir: „Das ist ein Geniestreich. Noch niemand hat so etwas gemacht, aber … wie soll ich das bloß anstellen?“

Ich drehte meine Runden im Stadtviertel Wadi Nisnas und jemand erzählte mir von Fifis Friseursalon: Am Folgetag stattete ich ihm einen Besuch ab. Ich war sehr schüchtern und entschuldigte mich dafür, dass ich die ganze Zeit im Weg stand. Die Friseurinnen waren jedoch sehr nett und offen für diese Idee.

Dieser Ort war genau das Richtige für mich. Es war ausgesprochen warm, gemütlich und belebt. Viele Frauen gehen seit Jahren dorthin; sie vertrauen den Friseurinnen. Die Kundinnen sind stark mit diesem Friseursalon verbunden. Er ist das Zentrum ihres sozialen Lebens. Es ist wie an einer Bushaltestelle!

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  • Erzähle uns etwas über die technische Seite des Films. Ich kann mir vorstellen, dass die Kundinnen durch die Kamera über ihren Köpfen eingeschüchtert waren …

     

Ich wollte ursprünglich ein Stativ verwenden, jedoch musste ich diese Idee verwerfen. Deshalb fixierte ich die Kamera jeden Morgen an einer Stange über der Waschmuschel.


Ich teilte den Kundinnen mit, dass die Aufnahmen bloß für die Uni sind und dass sie eventuell an Festivals gezeigt würden. Ich habe nicht versucht, sie zu überzeugen, sich filmen zu lassen. Wenn überhaupt, dann war es genau andersherum! Ich sagte: „Sie müssen nicht …“, aber die Friseurinnen waren voll bei der Sache und teilten jeder Kundin mit: „Sie ist eine nette junge Frau und macht einen PhD. Wir müssen ihr helfen.“


Da jede Kundin die Friseurinnen wie Familienmitglieder behandelt, genoss ich dieselbe Behandlung. Sie verdächtigten mich nicht, sie vertrauten mir.

„Wenn man die Situation genauer betrachtet, sieht man, dass die Menschen einfach nur ihr Leben leben wollen.“
  • Hast du nach deiner Erfahrung als Hotelrezeptionistin nun gelernt, wie man Haare shampooniert? 

 

Zu Beginn war es eine Herausforderung und ich war sehr besorgt! Es ist leichter gesagt als getan: Ist das Wasser zu kalt oder zu warm? Es darf weder in die Ohren noch in die Augen. Zudem ist für ein effizientes Shamponieren ein leichter Druck erforderlich – zu viel Druck hingegen ist nicht hilfreich. Zudem gibt es immer eine Warteschlange, das ist stressig!

Doch letztendlich lief alles wie am Schnürchen, weil man mit einer Tätigkeit beschäftigt ist. Reden ist nicht unser primäres Ziel, so fließen die Worte leichter; ich bin mit etwas beschäftigt und sie sind es auch.

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  • Fifis Friseursalon scheint eine Oase zu sein – ein Ort, an dem politische Probleme vor der Tür bleiben …

     

In diesem Friseursalon sprechen die Kundinnen nie über Politik. Sie sprechen über alles, nur nicht über Politik. Sie diskutieren über Diäten, Ferien, Männerprobleme, ihre Kinder, jegliches Thema; nur nicht über Politik. Sie ist sozusagen der Elefant im Raum, weil die Politik hier die Gemeinschaften trennt. Ich war frustriert, weil ich die Spannung aufzeigen wollte, aber ich zeigte stattdessen das Unterschwellige.

Ich habe politischen Themen unterschwellig Platz geboten. Zum Beispiel fragte mich eine Person: „Wieso drehst du den Film hier?“ Daraufhin antwortete ich: „Ich bin Jüdin und bin hier aufgewachsen. Dies ist ein arabischer Friseursalon und ich hatte noch nie Kontakt mit der arabischen Gemeinschaft.“ Denn in Israel lernt man keine Araberinnen und Araber kennen. Das ist bereits eine politische Aussage.

Allerdings sagte ich nie etwas wie „Lasst uns heute über die israelische Besetzung diskutieren!“ Die Gesprächsthemen ergaben sich spontan. Mein Wesen trug ebenfalls dazu bei: Ich bin eine sehr offene Person, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Ich halte mich nicht zurück und habe auch deshalb schwierige Themen angesprochen. Ich glaube jedoch, dass ich sie auch ohne filmende Kamera angesprochen hätte.
  • Dein Dokumentarfilm wurde an zahlreichen internationalen Filmfestivals gezeigt und mehrfach ausgezeichnet. Er befasst sich mit einer regionalen Situation und enthält dennoch eine universelle Botschaft.

     

Dieser Kurzfilm hätte überall auf der Welt gedreht werden können. Er ist weltumspannend, da sich alles um eine heterogene, aber verbundene Gesellschaft dreht. Wenn man die Situation genauer betrachtet, ist dies ein Beispiel dafür, dass die Menschen selbst inmitten einer beunruhigenden Situation einfach nur ihr Leben leben wollen.

Weltweit sind viele Menschen daran interessiert zu erfahren, was in Israel geschieht. In gewisser Weise denken sie, sie wüssten, was in Israel vor sich geht. Es ist jedoch wie beim Betrachten großer Gemälde: Nur aus der Nähe sind die Details erkennbar.

Die Situation in Israel ist sehr problematisch; Land wird besetzt. Das ist eine sehr traurige und tragische Realität für die Araberinnen und Araber. Allerdings glaube ich, dass wir durch das Aufdecken empfindlicher und subtiler zwischenmenschlicher Beziehungen, tatsächlich zu einem besseren Verständnis der Situation beitragen können.

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  • Was sind nun deine Pläne?
     

Mein neues Projekt heißt Egypt, a Love Song. Darin geht es um die Liebesgeschichte meiner Großeltern.

Meine Großmutter war eine berühmte jüdisch-arabische Sängerin aus Ägypten. Sie heiratete einen muslimischen Musiker, mit dem sie einen Sohn bekam: meinen Vater. Der Film spricht meine Identität als Viertel Araberin auf sehr direkte Weise an.

Auch hier kommt „Die verlassene Kamera“ wieder ins Spiel. Diesmal sind es aber nur mein Vater und ich, die sich unterhalten. Selbstverständlich begleitet mich mein Kamerateam. Es baute die Ausrüstung auf und ließ uns beide dann allein. Alles wird aus der Ferne aufgenommen. Die Kameras sind fixiert, niemand fasst die Stative an, es wird nicht gezoomt. Alles steht still. Das Team arbeitet nicht in unserer Gegenwart. Dies ermöglicht uns ein gewisses Maß an Privatsphäre und Intimität, auch wenn diese durch die Anwesenheit einer Kamera eingeschränkt werden kann. Psychologisch macht es jedoch einen Unterschied, wenn niemand vor einem steht und einen anstarrt.

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  • Möchtest du ein paar Worte zu 99 und zur Untertitelung deines Films in verschiedenen Sprachen, einschließlich unserer neuen Sprache, Arabisch, sagen?


Ich bin ganz aus dem Häuschen! Ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass Sprache eine Barriere ist. Für Menschen mit Englisch als Fremdsprache schafft das Lesen von englischen Untertiteln Distanz zum Gezeigten – selbst wenn sie die Sprache verstehen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn eine Person etwas in ihrer Sprache liest, dann nehmen Geist und Herz eher den Inhalt auf.

Das ist ein Film, den ich den Menschen in den arabischen Ländern wirklich ans Herz legen möchte. Ich erhalte viele Nachrichten in den sozialen Medien von Menschen in den arabischen Ländern und Palästinenser*innen, die mir mitteilen, wie viel sie durch meinen Film gelernt haben und wie wichtig er ist.

Sprache verbindet wirklich. Ich wünschte mir, dass ich als Jüdin in Israel Arabisch sprechen und schreiben gelernt hätte. Die Tatsache, dass mein Film ins Arabische übersetzt wird, wärmt mir das Herz.

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